Diagnose : Arbeitsfähig

Diese Initiative von Sarina Wassermann resoniert so mit mir. Was hätte ich, als man die raue Wirklichkeit auf mich losgelassen hat, darum gegeben, dass mich jemand sieht und versteht. Denn — gefühlt seit einer Ewigkeit, die nie enden wollte, gab es für mich genau zwei Zustände: Entweder ich war ausgeglichen und nichts regte sich in mir, oder ich war nur von außen betrachtet dem Leben näher als dem Tod. Das hielt sich die Waage. Gerüstet für Wettbewerb und Leistungsmaxime war ich nach der Uni jedenfalls nicht. Ich trat aus der Tür und stand im strömenden Regen. Ohne Schirm.

Heute darf ich euch verkünden, dass ich Fortschritte mache. Ich erfahre gerade, wie es ist, gesund und unglücklich zu sein. Leute, ist das ein krasser Unterschied. Nicht mit Depressionen zu vergleichen. Aber von vorn.

Im Moment herrscht im Lektorat Flaute. Nicht in dem Sinne, dass weniger Romane geschrieben werden und keine Anfragen ins Haus flattern. Eher in dem Sinne, dass das Honorar, das ich brauche, um über die Runden zu kommen, auf Entsetzen stößt. Kein gutes Ende, auf das hier eine Entwicklung hinsteuert, auf die ich eigentlich ziemlich stolz war.

Ich war stolz, dass ich die Entscheidung getroffen habe, mich nicht mehr arm zu arbeiten. Als ich damals anfing, gierte ich nach Berufserfahrung. Ich brauchte Arbeit, um an meinen Weg zu glauben; überhaupt daran zu glauben, dass ich eine Zukunft hatte, in der ich meine Fähigkeiten gegen Geld tauschen konnte. Ich kam von der Uni, war alleinerziehend und fest anstellen wollte mich niemand. Also ging ich in die Selbstständigkeit und arbeitete wie besessen, um den grünen Zweig zu erklettern, von dem alle sprachen. Und vermied es am Ende, auszurechnen, was die einzelne Stunde mir eingebracht hatte.

Mit den Glaubenssätzen, die damals noch in meinem Kopf herumtobten, konnte ich das vor mir rechtfertigen. Ich beutete mich aus, weil ich dachte, das sei mein unhintergehbares Schicksal. Die Dankbarkeit, die ich empfand, wenn mir jemand sein Manuskript anvertraute, sollte mir doch genügen. Ich entschuldigte mich fast, dass ich überhaupt Geld für meine Arbeit nahm.

Aber — all die Jahre der Therapie zeigten tatsächlich Wirkung. Nachdem eine Kundin, ich nenne sie Rottweiler, mich am Telefon gegen die Wand gebellt hatte, bis ich meine Arbeit an sie verscherbelte, und ich dann jede Seite ihres mit Fehlern gespickten Manuskripts mit zusammengebissenen Zähnen korrigierte, wollte ich nicht mehr. Endlich hatte sie sich bei mir vorgestellt, meine Würde.

Seitdem genieße ich ihre Gesellschaft. Aber eine bittere Erkenntnis hatte sie im Gepäck: Wenn ich den Beruf, den ich liebte, behalten wollte, musste ich Honorare verlangen, für die auch andere aus dem Bett steigen würden. Zur Gutverdienerin machen meine Honorare mich heute immer noch nicht. Aber ich schrappe nicht mehr am Mindestlohn.

Theoretisch. Früher folgte beinahe jeder Anfrage ein Auftrag. Jetzt hocke ich in einer tiefen Krise, in der ich mich fragen muss, wie es weitergehen kann. Und diese Frage trägt so viel Wucht in sich, das Kartenhaus, das ich mir behutsam in die Höhe gebaut habe, umzufegen. Sie ist existenziell. Denn trotz des Wandels, der in mir passiert ist, sprengt es noch meine Vorstellungskraft, wie ich im Korsett einer Anstellung funktionieren könnte. Es macht mir eine Heidenangst. Und das liegt nicht an meiner Arbeitsmoral. Was das betrifft, bin ich ein Geschenk für Arbeitgeber. Was das betrifft.

Doch ich bin nicht bereit, die Schulaufführung meiner Tochter zu verpassen oder die Kleine nicht zum Turnen bringen zu können, weil ich arbeiten muss. Jahrelang habe ich mich abends noch an Manuskripte gesetzt, als es ruhig im Haus geworden war. Weil ich das kann, ich habe die Disziplin. Und weil ich sie habe, will ich meine Arbeitszeit so einteilen, wie ich es brauche. Wie meine Familie es braucht. Ohne mich zu erklären — oder gar zu entschuldigen.

Aber vor allem fällt es mir schwer, meiner Gesundheit zu trauen. Wäre sie ein Pferd, würde ich nicht auf sie setzen. Wie — als wer — bewerbe ich mich? Wie schaue ich ihm oder ihr in die Augen und weiß, wie schnell sich unter Menschen meine Akkus entleeren? Weiß, dass es Tage geben wird, an denen ich gerade so viel Kraft habe, meinen Kindern warmes Essen auf den Tisch zu stellen? Tage, die nur dafür da sind, irgendwie überstanden zu werden, weil die Nacht so kurz war wie ein Wimpernschlag. All die, die sich morgens ausgeruht die Zähne putzen, sollten sich vor Augen führen, wie gesegnet sie sind, dass sie nachts schlafen können.

Das waren leider keine rhetorischen Fragen. Sagt es mir, ich weiß es nicht.

Ich weiß nur, dass sich was ändern muss.

Hinterlasse einen Kommentar